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ZUM INHALT

Eine Kritik der Kritik, wie wir sie uns für den Workshop vornahmen, setzte zunächst bei uns selbst an: Im Vordergrund standen jene Genres, mit denen wir in unseren beruflichen Alltagen arbeiten/kritisieren. Unsere Nachfrage galt etwa jenen Schnittstellen, an denen die wissenschaftlichen Praktiken des Kritisierens zusammentreffen mit jenen anderer gesellschaftlicher Bereiche und Öffentlichkeiten. Da interessierte beispielsweise die Institution der „Semesterschlusskritik“ im Zuge des Architekturstudiums an der ETH Zürich oder die kritische Intervention in die Dauerausstellung eines historischen Museums, des Wien Museums ebenso wie Interventionsforschung im Gesundheitsbereich, als Exempel für die in ihrer Vielfalt und Vielzahl kaum mehr überschaubaren Modelle der Beratung und der Krisenintervention. Reflektiert wurden auch (vordergründig) wissenschaftsspezifische Orte und Formen der Kritik: der Forschungsbericht, die Expertise, das Gutachten, der kritische Bericht im Rahmen von Wissenschaftsjournalismus und so weiter.

 

Kritik, davon gingen wir aus, ist heute ein so unverzichtbares wie überfrachtetes Genre und Medium, eng verschränkt mit gesellschaftlichen Ansprüchen und ökonomischen Verwertungszusammenhängen.
Alltäglich und selbstverständlich hantieren wir damit, ohne eigentlich zu reflektieren, dass und inwiefern die Formen und Strategien des Kritisierens bedingt und abhängig sind von kulturellen Traditionen, sozialen Normen, Beziehungen und Kategorien (wie Gender, Generation etc.).

 

Die von sechs ReferentInnen eingebrachten Inputs führten an Schnittstellen, an denen wissenschaftliche Praktiken des Kritisierens mit jenen anderer gesellschaftlicher Bereiche und Öffentlichkeiten zusammentreffen. Sie sprachen wie erwartet und erwünscht bislang wenig bedachte, unreflektierte, heikle und sensible Bereiche an und stellten sie zur Diskussion. Deutlich wurden die unterschiedlichsten Motivationen zu kritisieren, und dass Kritik in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen auf sehr diverse Ziele ausgerichtet ist. So kam der Begriff der Kritik an sich immer wieder ins Spiel und die extreme Perspektivität des Kritisierens.

 

Ausgehend von der Beobachtung, dass das Genre Ausstellungskritik in den deutschsprachigen Medien ein eher kümmerliches Dasein fristet, fragte die Museologin und Ausstellungskuratorin Regina Wonisch [Abstract], welchen Voraussetzungen es bedarf, um Sprechen über/zu Ausstellungen (als Basis einer Kritikkultur) in Gang zu setzen. An einem konkreten Beispiel (der Intervention „Männerwelten|Frauenzimmer“ in die Dauerausstellung des Wien Museum, September 2005) wurden Grenzen und Möglichkeiten des kritischen Intervenierens in bestehende Museumspräsentationen ausgelotet.

 

Der Wissenschaftshistoriker und -journalist Oliver Hochadel [Abstract] hat überlegt, was „kritischer“ Wissenschaftsjournalismus meinen könnte. Die Figur des „Wissenschaftskritikers“ wurde in eine kleine Geschichte der Wissenschaftspopularisierung eingebettet und mit Beispielen in der Gegenwart verortet. So erfuhren wir, was es für einen Wissenschaftsjournalisten bedeuten kann, die Pharmaindustrie zu kritisieren oder wie heikel es sein kann, als ‚objektiver Berichterstatter’ in eine wissenschaftliche community, konkrete jene der Paläoanthropologen, involviert zu werden.

 

Die Kulturwissenschaftlerin und Wissenschaftskulturforscherin Marie Glaser [Abstract] hat die Rolle der Kritik in der Architekturausbildung reflektiert und mit dem starken Wettbewerb in der Branche zusammengedacht. Regelmäßig im Lauf des Studiums werden die Arbeiten der angehenden ArchitektInnen in unterschiedlichen Foren präsentiert, diskutiert und bewertet. Die „Schlusskritik“, Höhepunkt des Semesters, ist eines der gefürchtetsten Ereignisse und geradezu mythenumwoben. Als Mitarbeiterin des Wohnforum an der ETH Zürich war Marie Glaser mehrfach als Gastkritikerin eingeladen und damit teilnehmende Beobachterin der ‚bei den Architekten’ ablaufenden – einer Kulturwissenschaftlerin zum Teil sehr ‚fremden’ – Prozesse des Kritisierens. Dabei wurde deutlich, dass Kritik oft ritualisiert ist und die Frage aufgeworfen, ob dadurch nicht eigentlich das Kritisieren umgangen wird.

 

Beginnend mit der Nacherzählung eines Gesprächs mit einem etablierten und universitär verankerten Wissenschaftler, der ihm, dem Freiberufler alle Freiheit in Bezug auf Forschung und Kritik unterstellte, forderte Matthias Marschik [Abstract] zur Lokalisierung von Kritik auf. Anhand der Gegenüberstellung von Kritik üben und Wissenschaft betreiben erinnerte der Kulturwissenschaftler und Zeithistoriker daran, dass Kritisieren einen Ort hat und braucht. Er eröffnete damit ein weites Feld an Fragen, von welchen Orten aus Kritik überhaupt geleistet werden kann. Nebenbei verwies Matthias Marschik darauf nicht zuletzt darauf, dass man sich Kritisieren – im eigentlichen Sinn des Wortes – leisten können muss.

 

Die Biologin und Wissenschaftsforscherin Karen Kastenhofer [Abstract] befasste sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen Expertise und Nichtwissen und veranschaulicht dieses am Beispiel des öffentlichen Diskurses zwischen Fachleuten unterschiedlicher Gebiete und Laien rund um „Grüne Gentechnik“. Sie betonte, dass Kritik interaktiv und auch emotional aufgeladen ist; in sozialer Hinsicht wirkt sie strukturierend und organisierend, auch über Ausschluss. Im Forschungsprojekt „Nichtwissenskulturen“ der Universität Augsburg, in dessen Rahmen die wissenschaftlich- gesellschaftliche Diskussion um Grüne Gentechnik untersucht wird, hat sich gezeigt, dass kritische Einwände vielfach mit dem Argument des ‚Nichtwissens’ verwoben werden. Dabei werden unterschiedliche Konzeptionen von Nichtwissen und Umgangsformen mit Nichtwissen miteinander konfrontiert. Wertvorstellungen, wie sie Risikohypothesen als Schadensvermutungen ebenfalls zugrunde liegen, werden hingegen kaum erörtert.

 

Die Medizinerin und Organisationsberaterin Katharina Heimerl [Abstract] gab uns Einblicke in das Arbeitsfeld „Palliative Care“. Sie stellte Aufgaben und Probleme der Interventionsforschung in Krankenhäusern oder Pflegeheimen, in denen schwerkranke und sterbende Menschen betreut werden, vor. Kritik als Begriff ist in ihrer Arbeit nicht präsent – gesprochen wird von: Feedback, Abwägen der Ressourcen; kritisiert wird dennoch. Wissenschaft übt aus relativer Distanz (Palliative Care ist „bettenlos“) Kritik an jemand anderes Praxis. Ohne positive Anerkennung und sorgfältige Kommunikation, das zeigte dieses lebensnahe Beispiel sehr deutlich, bleibt kritische Intervention wirkungslos.

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