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KOMMENTAR GÜNTER GETZINGER


zu den Inputs von Matthias Marschik, Karen Kastenhofer und Katharina Heimerl
Workshop „Kritik der Praxis. Praxis der Kritik“, 30. September 2005

Ich möchte ganz am Anfang meines Kommentars etwas Biografisches sagen. Ich hatte nämlich die Freude, dass alle drei Beiträge mich in einer gewissen Weise biografisch sehr berührt haben – also sowohl jener von Matthias Marschik, als auch der von Karen Kastenhofer und jenerf von Katharina Heimerl. Alle drei Inputs sind in eigenartiger Weise mit meiner Biografie verwoben. Das ist natürlich etwas sehr Schönes, weil es Betroffenheit herstellt. Betroffenheit ist nicht nur wichtig, wenn man die Arbeit der Kritik tut, sondern auch, wenn man einen Kommentar abgibt, der ja so etwas wie sympathisierende Kritik übt.

 

Orte der Kritik referiert von Matthias Marschik: Vor ungefähr 30 Jahren, mitten in meiner Pubertät, habe ich mich gefragt, wie ich meinen Vater am richtigen Ort und an der richtigen Stelle, wo es ihm besonders weh tut, kritisieren kann. Ich habe da viel herumprobiert – aber das ist sehr privat. Es wurde angesprochen, dass auch im Privaten sich sehr viel Kritik abspielt und man dort den kritischen Habitus einübt, den man dann – manchmal vielleicht ein Leben lang – bewahrt. Tatsächlich war das Ausprobieren dieses Ortes – der Familie – dann sehr nützlich am nächsten Ort.
Ich bin mit 19 Jahren unglücklicherweise beim Bundesheer gelandet. Ich habe mich relativ schnell und sehr heftig gegen diesen Ort gewandt. Mit einem wenig suffizienten Mittel – nämlich dem Affichieren von Gedichten, habe ich versucht zu kritisieren. Ihr kennt vielleicht das Gedicht „Schweigen“, das nur aus diesem einen Wort besteht, ein konkretes Gedicht. Das habe ich massenhaft dort plakatiert. Das war aber wohl, wie gesagt, nicht das richtige Mittel, vielleicht auch nicht der richtige Ort für dieses Mittel.
Durchaus ähnlich ist es mir dann in meinem Studium ergangen, an der Technischen Universität, Chemieingenieurwesen, wo ich auch schnell unzufrieden war und dann versucht habe, den Studienplan zu ändern – mit den bei Studentenpolitikern üblichen und ihnen zugänglichen Mitteln. Manche von euch, die in diesem Bereich engagiert waren, wissen vielleicht, dass man da belächelt wird. Die Karawane zieht einfach weiter; man selbst ist ja nur fünf, sechs – oder in meinem Fall waren es sieben – Jahre aktiv. Und das war es dann. Als sehr unwirksam habe ich meine Kritik an diesem Ort Universität erleben müssen. Dennoch war das prägend: An der iff hat die Kritik an der Universität als Institution, als Ort der disziplinären, der disziplinierten Wissenschaft, Tradition. Und die iff ist für mich deshalb ein guter Ort.

 

Ökologie spielt für einen Chemiker, der ich dann wurde, natürlich eine Rolle. Ökologie ist Impuls für eine Bewegung gewesen, wo ich dann durchaus auch richtige Orte gefunden habe, Kritik wirksam werden zu lassen.

 

Deutlich später hat mich das erfasst, worüber Karen Kastenhofer referiert hat, nämlich die Erkenntnis, dass Nichtwissen auch ein Argument sein kann: Nichtwissen, damit meine ich diese ‚anderen’ Wissensformen, die von der Wissenschaft verdrängt worden sind und als illegitim gelten. Das habe ich sehr spät zu respektieren gelernt, dass diese Wissensformen gleichwertige, gleich wichtige Argumente liefern – vor allem, wenn man seine eigene Kritik wirksam werden lassen will. Besonders dann muss man sehr viel Respekt entwickeln gegenüber anderen Wissensformen, wie es Katharina Heimerl auch angesprochen hat.

 

Der aller erste Schritt, wenn man als WissenschafterIn in einen Organisation interveniert, ist, sehr respektvoll mit den vorhandenen Erfahrungen, mit den dortigen Wissensformen und -kulturen umzugehen, die mit Wissenschaft oft nur sehr peripher zu tun haben. Ich bin wie Katharina Heimerl auch in der Interventionswissenschaft gelandet. Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre habe ich einige Projekte in diesem Sinn durchgeführt und befasse mich heute aus theoretischer Perspektive mit dem was man „Interventionswissenschaft“, „Modus 2 Wissenschaft“, „postakademische Wissenschaft“ oder „Transdisziplinarität“ nennt. Und Vielleicht bin ich ja auch deshalb eingeladen, hier zu kommentieren.

 

Am Vormittag ist es sehr stark um Felder der Kritik gegangen, um Berufsfelder, auch um das Berufsbild Kritiker/Kritikerin – Probleme der Professionalisierung (zum Beispiel in der Ausstellungskritik), um constraints des Berufs (zum Beispiel als Wissenschaftskritiker einer Zeitung) oder um die innige Verwobenheit des Berufs des Architekten/der Architektin mit der Tätigkeit des Kritisierens, diese eigenartige Umklammerung der beiden Sphären, die auch eine gewisse Hermetisierung bewirkt.
Im Gegensatz zu diesem Abarbeiten an Feldern der Kritik, ist am Nachmittag – meinem Eindruck nach – eher Begriffsarbeit geleistet worden. Es ist natürlich keine Definition von Kritik geliefert worden, aber es gab doch den Versuch der Umkreisung des Begriffs, der Verortung.

 

Im ersten Referat etwa – da gebe ich schon zu, ich war nicht ganz zufrieden nach dem Beitrag von Matthias Marschik. Er hat sich doch ganz stark auf Wissenschaft bezogen; auf die Abgrenzung von Kritik, was Kritik ausmacht im Gegensatz zu Wissenschaft. Er hat in einer Nebenbemerkung erwähnt, er hätte noch gerne über andere Orte der Kritik gesprochen und den Begriff der Politik ins Spiel gebracht. Da war die Zeit wahrscheinlich zu knapp bemessen.
Ich komme zu einem ersten Resultat – unter Einbezug der beiden anderen Beiträge –, zu einer ersten Annäherung an das, woraus sich Kritik nährt, was Kritik als inkubierenden Ort jedenfalls braucht:

 

Ich denke, darüber erzielen wir leicht Konsens, weil es letztendlich auch banal ist: Nämlich, dass Kritik ohne Öffentlichkeit nicht leben kann, Kritik kann nicht nur so für sich selbst sein. Natürlich kann man auch eine solche Form Kritik nennen und es gibt Fälle, wo solche Kritik viel später wirksam geworden ist, die darf man nicht übersehen. Ich will beispielsweise jene Privatgelehrten nicht gering schätzen, die für sich eine Kritik verfassen worüber auch immer, die überhaupt nicht rezipiert wird, überhaupt nicht verstanden. Womöglich entfaltet diese Kritik erst einige Jahre oder Jahrzehnte später ihre Wirkung. Aber trotzdem – ich glaube, im Kern sind wir uns einig: Kritik braucht Öffentlichkeit, braucht einen Resonanzboden, zumindest ein spezifisches Segment der Öffentlichkeit. Etwa: Die anderen Architekten sollten diese Kritik lesen, die man über ein Gebäude verfasst, und die Kritik gut oder schlecht nennen.

 

Kritik braucht Rezeption, sonst stirbt sie ab, sonst verhungert sie, sonst versandet sie. Es wurde darauf hingewiesen, dass Kritik in Relation zur Wissenschaft wesentlich mehr individuelle Spielräume bietet. Das ist einerseits positiv, andererseits ergibt sich daraus, dass Kritik manchmal wirkungslos bleibt, weil sie keine Öffentlichkeit hat. Bei der Wissenschaft gibt es doch eine gesicherte Öffentlichkeit; die Fachwelt, diese Fachöffentlichkeit – die Fachkollegen und -kolleginnen müssen, sollten zumindest, die Artikel lesen, die in ihrem Bereich beheimatet sind. Bei der Kritik ist das nicht unbedingt der Fall. Also kann es tatsächlich passieren, dass Kritik „verhungert“, kein Gehör findet.

 

Auch die von Karen Kastenhofer erwähnte Arena der Aushandlung ist Öffentlichkeit, ist eigentlich nichts anderes als eine Art Forum: Das forum romanum als erster Ort des Verhandelns politischer Dinge – sehr exklusiv war es, es ist keine große Öffentlichkeit gewesen, nur ein paar Herrschaften, Männer natürlich, haben da das Öffentliche in Rom ausverhandelt. Im Fall der „Grünen Gentechnik“ ist die Öffentlichkeit doch eine deutlich größere. Ihr Forum, ihre Arena der Aushandlung ist schon manchmal ein Schlachtfeld. Wenn man etwa nur daran denkt, dass gar nicht so wenige wissenschaftliche Karrieren schlicht und einfach beendet wurden, weil es öffentlich, politisch nicht goutiert wurde, Forschungsprogramme in diesem Bereich aufzulegen.
Und natürlich braucht Interventionsforschung die Öffentlichkeit der Institution. Deshalb fängt man meistens bei der Leitung einer Organisation an, damit gewährleistet ist, dass man überhaupt Gehör findet, und damit man nicht gleich rausgeschmissen wird. Dieses Forum wird abgesichert, indem zunächst die Legalität des Eindringens in diese Zone hergestellt wird. Das ist die Bedingung der Möglichkeit, in einen Diskurs zu treten und dann in dieses System, diese Organisation zu intervenieren. Ich würde behaupten, dass ist eine sehr grundlegende Voraussetzung von Kritik.

 

Ich komme zu meinem zweiten Punkt: Da wird es ein bisschen enger und vielleicht nicht mehr so zustimmungsfähig. Aber ich jedenfalls habe aus den drei Referaten als Botschaft heraus gehört, dass ihr vielleicht doch der Ansicht seid, dass Kritik bloßes Sprachspiel, bloße Hirnübung sei. Manchmal habe ich dieses Missverständnis ein bisschen herausgehört, denke, dass Kritik als intellektuelle Übung missverstanden wird – von manchen hier in diesem Kreis.

 

Vielleicht ist das eine Provokation für den einen oder anderen, dass ich behaupte, dass Kritik echte Wirksamkeit braucht. Das heißt, sie muss ihre Spuren in der Realität, in der Gesellschaft ziehen – auf welcher Mikroebene auch immer. Die großen gesellschaftlichen Kritikentwürfe – denken wir an Karl Marx – sind entweder missverstanden worden oder – nach kurzer, intensiver Reinterpretation in den 1960er Jahren – wieder weitgehend verkümmert. Diese Form der Generalkritik hat wenig Spuren hinterlassen (wohl aber daraus abgeleitete Kritik in Einzelbereichen); weil sie zu global, zu groß war – man hat sich „da überhoben“. Die Analyse etwa, dass es einige wenige Angelpunkte der Gesellschaft gäbe, war falsch: Die RAF hat beispielsweise geglaubt, wenn man ein paar besonders bösartige Exponenten des Kapitalismus ermordet, dann kippt „das System“. Das „System“ hat sich als sehr polyzentrisch erwiesen und als sehr reproduktionsfähig. Diese gewalttätige, mörderische „Kritik“ ist letztendlich – im Sinne der gesetzten Ziele – wirkungslos geblieben.
Damit deute ich aber auch schon an, dass Kritik natürlich auch nonverbal vorgebracht werden kann. Ihre Sprachlichkeit wird in unseren Kreisen vielleicht ein bisschen überbetont, sie kann durchaus auch außersprachlich vorgebracht werden.

 

Ich komme zu meinem letzten Punkt und der stärksten Behauptung auf Basis der Beiträge: Ich möchte in den Raum stellen, dass zum einen nach antiken Vorstellungen, zum anderen im Anschluss an Hannah Arendt, Kritik als Handeln zu verstehen ist: Kritik als handelndes und nicht nur „kontemplatives“ Intervenieren in Gesellschaft. Natürlich ist Bedrucken von Papier mit sinnvoll aneinander gereihten Wörtern schon auch eine Form der Intervention, aber Hannah Arendt und jene antike Autoren, die vita activa und vita contemplativa unterschieden haben, meinten damit mehr: Sie meinten Handeln in einem emphatischen Sinn; meinen es in jenem Sinne, wie es richtig verstandene Interventionsforschung meint: als echten Eingriff in Mikrosysteme oder auch weitere Bereiche unserer Gesellschaft: politisches Handeln auf einer sehr konkreten Ebene.

 

Kritik, die nachhaltig wirksam sein soll, muss sich mit Recht auseinandersetzen – in unterschiedlichsten Formen: in Form von Normen, in Form von Berufsethiken, in Form von breit getragenen Übereinkommen, Verträgen. Diese Bezugnahme auf das Recht und seine Veränderung machen etwa aus Herrn Schüssel einen so wirksamen Kritiker des Bestehenden, der – und das unterscheidet ihn natürlich von den meisten seiner KritikerInnen – einen sehr unmittelbaren und machtvollen Zugriff auf das Recht hat. Aber ich denke schon, dass diese Annäherung an Recht, an Normen, an Berufsethiken, etc., in die bestimmte – kritisierenswerte – Zustände geronnen sind, jedem Kritiker, jeder Kritikerin zu empfehlen ist, um endlich diese Zustände und Verhältnisse erträglicher zu machen.


(Transkript Nikola Langreiter)

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