Zeitschriften als Reflektoren wissenschaftlicher Kultur. Ein Streifzug

„Denn aus irgendeinem imponderablen Grund sind ja die Zeitungen nicht Laboratorien und Versuchsstätten des Geistes, was sie zum allgemeinen Segen sein könnten, sondern gewöhnlich Magazine und Börsen.“ (Robert Musil)

ZHF = Zeitschrift für historische Forschung. Vierteljahresschrift zur Erforschung des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, hg. v. Johannes Kunisch, Klaus Luig, Peter Moraw, Heinz Schilling, Bernd Schneidmüller, Bd. 23 (1996), Heft 1-4, 573 S. Verlag Duncker & Humblot, Berlin.

AKG = Archiv für Kulturgeschichte, herausgegeben von Egon Bosho, Bd. 78. (1996), Heft 1-2, 516 S. Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien.

ZNR = Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte, hg. v. Wilhelm Brauneder, Pio Caroni, Clausdieter Schott, Rainer Schulze, Dietmar Willoweit, 18. Jg. (1996), Heft 1-4, 352 S. Verlag Manz, Wien.

Wahrscheinlich geht es in der Wissenschaft nicht um Wahrheit, sondern um modische Inszenierung. Niemand will sich durch Argumente überzeugen lassen, doch alle wollen repräsentieren und Anerkennung erreichen durch die Besetzung strategisch wichtiger Punkte. Vielleicht ist etwas zu erhoffen, wenn Produkte der Wissenschaft und Kultur endlich in einem umfassenden Sinn Warencharakter angenommen haben und damit jener halbfeudalen und bürokratischen Halbwelt entkommen ist, in der sie gegenwärtig dämmert. Zuweilen macht jedoch ein Streifzug durch die Welt wissenschaftlicher Zeitschriften auch Mut, vor allem wenn er jene Grenzen überschreitet, die sich längst zwischen den und auch innerhalb der Disziplinen verfestigt haben, nicht zuletzt, um einer ganz anders gemeinten Disziplinierung Vorschub zu leisten. Gerade im Bereich der Geisteswissenschaft sind Spezialisierungen - obzwar in gewissem Maße unumgänglich - letztlich geisttötend. Doch bieten manche Zeitschriften - bei weitem nicht nur jene, die hier besprochen werden - immer wieder überraschende Aus-, Durch- und Einblicke.

Das AKG (= Archiv für Kulturgeschichte), 1910 von dem Historiker Georg Steinhausen ins Leben gerufen, ist eine Fundgrube für alles Mögliche. Es besteht vornehmlich aus einem Hauptteil, der Aufsätze präsentiert und einer „Kulturgeschicht-lichen Umschau“, die einige wenige, gleichwohl gut ausgwählte Rezensionen bietet und zuweilen eine Miszelle. Die zwei Hefte des 78. Bandes (1996) enthalten 16 Studien. Gleich die erste Studie ist allerdings eine Kollektivarbeit (Heft 1, 1-66), die sich aus mehreren Vorträgen verschiedener Autoren zur „antiken Stadt als Lebenswelt“ zusammensetzt. Auf die Antike bezieht sich daneben noch eine weitere Studie, vernachlässigt scheinen lediglich die Spätantike, das Frühmittelalter und die Zeit nach 1945.

Es ist nicht leicht, die Themen zu klassifzieren. Mit aller gebotenen Vorsicht kann behauptet werden, daß vier Studien politische Mentalitäten analysieren, vier Studien sich weiteren mentalitätshistorischen Themen widmen, drei andere Aufsätze wissenschaftshistorische Gegenstände aufarbeiten. Zwei weitere Arbeiten greifen Themen der materiellen Kultur auf, zwei andere beschäftigen sich mit Phänomenen der Bildungssysteme. Eine letzte Studie beschäftigt sich mit einem kunsthistorischen Motiv. Zwar könnte einen die Zufälligkeit der Themenwahl beunruhigen, andererseits ist es gewiß, daß sie auch ungemein bereichert. Selbst Opfer freiwillig stark beschränkter Spezialisierung werden hier von dem einen oder anderen Titel gewiß verführt.

Mentalitätshistorische Themen

Im ersten Heft ist es vor allem eine mentalitätshistorische Studie Alexander Demandts zum Thema „Platon und der Wein“, die einen unverzüglich in ihren rhetorischen Bann zieht. Wollte man nicht immer schon wissen, wie ein antikes Gelage aussah und wie es den alten Griechen gelang, Rausch und Reflexion zu verbinden? Der Schlüsselbegriff heißt hier wohl „geregelte Trinkgesellschaft“, der deutlich machen soll, wie Weingenuß instrumentalisiert wurde zwecks Erzielung propädeutischer Effekte:

„Platons Bildungsziel ist die rationale Affektkontrolle, peripathetisch gesprochen: die Metriopathie, die sich gegen die dorisch-stoische Apathie wendet. Der Mensch soll nicht ohne Liebe und Haß, ohne Lust und Furcht leben, sondern rechten Gegenstand, das rechte Maß finden. Darum sind die Musen in der paideusis unentbehrlich. Zum Wein gesellt sich der Gesang und der Tanz. Dionysos ist der eine, Apollon der andere Lehrer. Der von Platon geschätzten dorischen Melodik wurde nachgesagt, daß sie Trunkene nüchtern mache. Das Lernen soll von der Lust beflügelt werden.“

Nach dieser schwungvollen Belehrung ist man bereit, eine Untersuchung zu genießen, die geschlechtliche Lüste und Pflichten zum Gegenstand hat (Bastl, Beatrix: Eheliche Sexualität in der Frühen Neuzeit zwischen Lust und Last. Die Instruktion des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein. Heft 2). Wenn ein Fürst geneigt ist, zu erklären und zu erläutern, wie man am besten und erfolgreichsten sich vermehre, verliert man sich selbst in den langwierigsten Fußnoten mit großer intellektueller Neugierde.

Eine weitere mentalitätshistorische Studie behandelt den einigermaßen ernüchternden Umgang mit Frauenkleidung in Berlin um 1900 (Sahmland, Irmtraud: Zwischen Modekritik und emanzipatorischem Anspruch. Der Verein für Verbesserung der Frauenkleidung von 1896).

Wissenschaftshistorische Themen

Auffallend unter den wissenschaftshistorischen Studien ist der provokante Titel, den Folker E. Reichert für seine Überlegungen im selben Heft gewählt hat: „Die Erfindung Amerikas durch die Kartographie“. Dahinter verbirgt sich die detaillierte Beschreibung kartographischer Spekulation und Konstruktion vor allem im 16. Jahrhundert. Karten dienten, anderen Wissensspeichern nicht unähnlich, allen möglichen Projektionen jener Gelehrten, die sie verfertigten. Nicht selten wurden Länder oder Wasserstraßen, die es nicht gab, erfunden. Erstaunlich ist, daß das erfundene Wissen den Produzenten wohl begründet schien. Möglich, daß unser eigenes scheinbar gesichertes Wissen von zukünftigen Wissenschaftshistorikern in vergleichbarer Weise beurteilt werden muß. Weitere wissenschaftshistorische Studien behandeln zum einen die Reflexion von Herrschaftstechnik (Weber, Wolfgang: Ratio status, et quae eo pertinent. Die praktischen Dimensionen der Staatsräson im Spiegel der Bibliotheca statistica (1701) des Caspar Thurmann. Heft 1), andererseits die Entwicklung Jacob Burckhardts (Karge, Henrik: „Die Kunst ist nicht das Mass der Geschichte“. Karl Schnases Einfluß auf Jakob Burckhardt. Heft 2).

Mentalitätsgeschichte der Politik

Unter den Arbeiten zur Mentalitätsgeschichte der Politik erscheinen drei besonders interessant: Die erste untersucht die Bedeutung eines indischen Aufstands für das kollektive Gedächtnis Großbritanniens (Nünning, Vera: „Daß jeder seine Pflicht thue“. Die Indian Mutiny. Heft 2), die zweite analysiert die Funktion von Nationaldenkmälern in Deutschland und reflektiert zugleich auch das junge Interesse für diese Denkmäler (Roowaan, Ries: Nationaldenkmäler zwischen Geschichte und Kunstgeschichte. Heft 2), die dritte thematisiert die Rolle des Sports in der Weimarer Republik (Becker,Frank: Weimarer Sportrepublik. Deutungsangebote für die Demokratie. Heft 1) vor dem Hintergrund diverser paradigmatischer Verschiebungen, vor allem vom Religiösen zum Militärischen, das zum beherrschenden Organisationsschema für das Soziale und seine politischen Organisationsformen wird.

Materielle Kultur, Bildungssysteme

Zwei Arbeiten beschäftigten sich mit Themen materieller Kultur. Die erste untersucht die Bedingungen mittelalterlicher Kommunikation am Beispiel eines Mannes, der weniger durch seine Funktion, sondern vielmehr durch die informellen Kommunikationsnetze, über die er verfügte, zu einem der mächtigsten Männer seiner Zeit wurde und durch seine Predigten sogar Kreuzüge initiieren konnte (Zulliger, Jürg: „Ohne Kommunikation würde Chaos ausbrechen“. Informationsaustausch, Briefverkehr und Boten bei Bernhard von Clairvaux. Heft 2). Mächtiger war, wer über mehr Boten verfügte und seine Botschaften schneller verbreiten lassen konnte als andere. Eine andere, sehr anregende und schöne Arbeit behandelt die russischen Verkehrswege (Schmidt, Christoph: Straße und Wald im Zarenreich. Heft 2); lediglich könnte man dem Autor Vorhaltungen machen, daß er die Erzählungen Nikolai Leskows nicht berücksicht und daß er jene Studie Harrisons zur Geschichte des Waldes unterschlägt, die ihn sichtlich inspiriert hat.

Gelehrtenstreit

Ein schönes, leider allzu seltenes Beispiel für einen erfrischenden Gelehrtenstreit bietet abschließend eine Miszelle (Vogtherr, Thomas: Ein „Atelier für kreative Diplomatik“. Zu einigen Veröffentlichungen des Rechtshistorkers Hans Constantin Faußner. Heft 2). Hier wird die These Faußners angegriffen, die behauptet, Otto von Freising habe in Gemeinschaftsarbeit mit anderen Gelehrten seiner Zeit zahlreiche Königsurkunden gefälscht mit dem Ziel, die Besitz- und Rechtsverhältnisse, damit aber auch die Geschichte des süddeutschen und österreichischen Raumes radikal umzuschreiben. Einleuchtend stellt der Autor die Thesen Faußners in einen größeren Zusammenhang und zeigt, daß ähnlich geartete Fälschungs-(hypo)thesen immer wieder vorgebracht wurden, um (deutsch-) nationale Konstruktionen zu ermöglichen.

Umschau

Unter dem Titel „Kulturgeschichtliche Umschau“ bietet das AKG ca. 20 teilweise recht ausführliche Rezensionen. Darunter findet sich eine genaue und kritische Auseinandersetzung mit einer Studie des Wiener Literaturhistorikers Wolfgang Neuber über frühe Amerika-Reiseberichte. Die Rezensionen sind sachlich und kompetent, allenfalls könnte Auswahl der besprochenen Werke insofern kritisiert werden, als ausländische Studien kaum berücksichtigt werden.

Die ZHF (= Zeitschrift für historische Forschung) - seit mehr als zwanzig Jahren eines der renommiertesten Organe der Historiographie - ist spezialisiert auf das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit. Hier findet man also Arbeiten, die den Zeitraum zwischen dem 12. und dem 18. Jahrhundert behandeln. Die Zeitschrift besteht meist aus drei Teilen: 1. „Abhandlungen und Aufsätze“, 2. „Berichte und Kritik“, 3. „Buchbesprechungen“. Im ersten Teil sind in der Regel zwei oder drei eigenständige Studien abgedruckt (insgesamt meist im Umfang von 80 bis 90 Seiten), der kritische Literaturbericht im zweiten Teil umfaßt ca. 30 bis 40 Seiten. Der dritte Teil enthält etwa in Heft auf durchschnittlich 50 Seiten 30 Besprechungen.

Die Themen der Aufsätze sind zwar breit gefächert, doch werden im vorliegenden Jahrgang mehrere Schwerpunkte sichtbar: Von den zehn Arbeiten beschäftigen sich drei mit dem Problemkreis der Souveränität und zwar in jeweils unterschiedlicher und origineller Manier.

Souveränität

Helmuth G. Walther untersucht in Heft 1 „Das Problem des untauglichen Herrschers in der Theorie und Praxis des europäischen Spätmittelalters“, Tilman Struve analysiert in Heft 3 „Die Begründung monarchischer Herrschaft in der politischen Theorie des Mittelalters“, Bettina Pferschy-Maleczek behandelt in Heft 4 die ästhetische Dimension unter dem Titel „Der Nimbus des Doppeladlers. Mystik und Allegorie im Siegelbild Kaiser Sigmunds“.

Theoretische Praxis

Zwei Studien sind gewissermaßen der theoretischen Praxis gewidmet: Martin von Gelderens Studie „Holland und das Preußentum: Justus Lipsius zwischen niederländischem Aufstand und brandenburg-preußischem Absolutismus“ (Heft 1) nimmt das stoisch-machiavellistische Denken eines prominenten Politikberaters unter die Lupe und stellt sich die Frage, welche Rolle dessen Werke im Rahmen des Absolutismus spielten, das heißt beim Aufbau und der Entwicklung der Herrschaftstechniken des „neuzeitlichen Machtstaates“. Karl Heinz Ziegler widmet dem bekanntesten Schüler von Lipsius eine Untersuchung mit dem Titel „Die Bedeutung von Hugo Grotius für das Völkerrecht. Versuch einer Bilanz am Ende des 20. Jahrhunderts“ (Heft 3).

Lebensläufe

Zwei weitere Studien beschäftigen sich mit einzelnen Personen. Malte Prietzel rekonstruiert unter dem Titel „Jaques Maes (+ 1465). Lebensführung und Wirkungskreis eines flämischen Kanonikers“ (Heft 3) anhand von Gerichts- und Nachlaßakten die beindruckend raffinierten ökonomischen Praktiken eines Geistlichen, dessen Lebenslauf keineswegs „außergewöhnlich, sondern lediglich beispielhaft“ gewesen sei. Thomas Kaufmann untersucht die Funktion der Pfarrersfrau in seiner Fallstudie „Pfarrerfrau und Publizistin - Das reformatorische ‘Amt’ der Katharina Zell“ (Heft 2). Von Interesse ist diese biographische Studie nicht nur, weil eine der ersten protestantischen Pfarrersehen und überhaupt die erste in Straßburg untersucht wird (die Ehe protestantischer Geistlicher war um 1520 noch keineswegs selbstverständlich), sondern auch durch Thematisierung weiblicher Intellektualität, die unter anderem in ihren Publikationen Probleme der Ehe reflektiert und prompt der Zensur anheim fällt.

Akademische, ländliche, religiöse Kultur/Gesellschaft

Die restlichen drei Studien des Jahres 1996 widmen sich unterschiedlichen Themen. Jürg Schmutz untersucht die Frage, wie Universitätsbesucher um 1400 ihr Studium finanzierten („Erfolg oder Mißerfolg? Die Supplikenrotuli der Universitäten Heidelberg und Köln 1389-1425 als Instrumente der Studienfinanzierung“ (Heft 2). Normalerweise wurde der Student Nutznießer der Erträge diverser Stiftungen (Pfründe, Benefizien); wer über die nötigen Kontakte nicht verfügte, um an diese begehrten Geldtöpfe heranzukommen, konnte direkt den Papst um eine derartige Unterstützung bitten. Durch die Vermittlung von Landesherren und Prälaten wurden meist gleich mehrere Bittgesuche auf einmal - zu „Supplikenrotuli“ zusammengefaßt - vor den Papst gebracht. Die Studie leistet eine „Erfolgsanalyse“ der sechs einzigen inhaltlich bekannten Supplikenrotuli deutscher Universitäten.

Christof Dipper analysiert die ländliche Gesellschaft in Deutschland um 1800 unter dem Titel „Übergangsgesellschaft. Die ländliche Sozialordnung in Mitteleuropa um 1800“ (Heft 1). Auf dem Land, so der Befund, sei zwar „die Not“, aber auch das „Entwicklungs-potential“ am größten gewesen. Hier sei dementsprechend „die Gesellschaft am stärksten in Bewegung geraten“ und zwar „von alleine“. Unruhen einerseits, Umstellungen in der Produktion, hausindustrielle Aktivitäten andererseits waren die wichtigsten Symptome und Folgen, interessant ist der Hinweis auf die Hilflosigkeit obrigkeitlicher Steuerungsstrategien, die meist ihr Ziel verfehlten.

Werner Troßbach untersucht und interpretiert in seiner Studie „Volkskultur und Gewissensnot. Zum Bilderstreit in der ‘zweiten Reformation’„ (Heft 4) Unruhen um 1600, in deren Mittelpunkt Auseinandersetzungen um kalvinistische Reformen („Verbesserun-gen“) standen. Beispielsweise sollte der Exorzismus aus der Taufformel beseitigt werden, aber auch mit der traditionellen Bildkultur sollte gebrochen werden. Die Maßnahmen einer dogmatischen Reformpraxis provozierten den Widerstand der Bürger diverser Gemeinden, deren Kirchen nur mit Militärgewalt „gereinigt“ werden konnten.

Literaturberichte

Die drei kritischen Literaturberichte behandeln ausführlich den Forschungsstand von Spezialthemen. In Heft 1 berichtet Markus Völkel über „Die Insel als Methode. Neuerscheinungen zur Geschichte Maltas und des Johanniterordens. In Heft 2 referiert Robert von Friedeburg über das Thema „‘Reiche’, ‘Geringe Leute’ und ‘Beambte’: Landesherrschaft, dörfliche ‘Factionen’ und gemeindliche Partizipationen 1648-1806“. Diese Arbeit beinhaltet eine Auseinandersetzung mit den Positionen des prominenten Frühneuzeit- und Reformationshistorikers Peter Blickle und bietet gleichzeitig einen sehr guten Überblick über die Kultur der „kleinen“ Politik des 17. und 18. Jahrhunderts und die strukturellen Konfliktpotentiale mit den übergeordneten Gerichten, den Grund- und Landesherren. In Heft 4 faßt Heinz Schilling („Nochmals ‘zweite Reformation’ in Deutschland. Der Fall Brandenburg in mehrperspektivischer Sicht von Konfessionalisierungsforschung, historischer Anthropologie und Kunstgeschichte“) eine umfassende Diskussion des letzten Jahrzehnts zur Thematik der „Zweiten Reformation“ zusammen, interessant vor allem darum, weil hier die ästhetische Dimension religiöser Kultur und die fruchtbare interdisplinäre Zusammenarbeit von Historikern und Kunsthistorikern berücksichtigt wird.

Rezensionen

Die Rezensionen sind ungeachtet ihrer Kürze informativ und erbaulich kritisch, allerdings im Rahmen gebotener Sachlichkeit. Erfreulicherweise werden englische, amerikanische, französische und italienische Bücher zu einem breit gefächerten Themenkreis rezensiert. Rechts-, Wirtschafts-, Militär-, Diplomatie- und Politikgeschichte bildet den Schwerpunkt und bietet durch die große Zahl der Rezensionen (ca. 120) einen ausgezeichneten Überblick.

Die ZNR (= Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte)

wurde vor 18 Jahren gegründet. Nicht nur sind Recht und Gesetz zentrale Elemente von Kultur und Geschichte; auch die Tatsache, daß in der ZNR regelmäßig interdisziplinäre Studien von Juristen, Rechtshistorikern, Soziologen und Historikern publiziert werden, macht dieses Organ zu einem bemerkenswerten Spiegel wissenschaftlicher Kultur. Schwerpunkte bilden die Geschichte der Gesetzgebung, des Privatrechts, des Justiz- und Prozeßrechts, des Strafrechts, des Verfassungs- und Verwaltungsrechts, des Wirtschafts- und Arbeitsrechts und schließlich der Rechtsphilosophie und juristischen Methodik. Neben einem Beitragsteil, der in den beiden Heften (1/2 und 3/4) jeweils fünf ausführliche Aufsätze enthält, erscheinen hier jeweils umfassende Forschungs- und Tagungsberichte und zahlreiche ausführliche Buchbesprechungen. Unter den insgesamt zehn Studien behandeln zwei verfassungshistorische Gegenstände, zwei Arbeiten befassen sich mit prominenten Juristen im Umfeld des Nationalsozialismus, drei Arbeiten behandeln historische Themen, eine Arbeit thematisiert völkerrechtliche Beziehungen. Eine Arbeit ist wissenschaftshistorischen Zuschnitts und eine behandelt einen kulturhistorischen Gegenstand.

Kultur, Wissenschaft

Überrascht ist man vielleicht, hier eine kulturhistorische Abhandlung über Spielkarten zu finden (Pauser, Josef: „Welch Frevel! Jetzt erscheinen die kaiserlichen Edikte gar noch als Spielkarten.“ Thomas Murners juristisches Lehrkartenspiel über die „Institutionen“ Justinians. Heft 3/4). Offenbar in mnemotechnischer und didaktischer Absicht verfertigte ein humanistischer Kleriker und Jurist um 1500 ein Kartenspiel und wurde deswegen heftig kritisiert und in nicht ganz ungefährliche rhetorische Fehden verwickelt. Die interessante Frage nach dem „Juristischen“ stellt sich eine wissenschaftshistorische Abhandlung (Ebihara, Akio: Was ist „juristisch“ in der juristischen Methode des Staatsrechts im 19. Jahrhundert? Die Funktion des privatrechtlichen Begriffes der „juristischen Person“ in der staatsrechtlichen Diskussion um den Bundesstaatsbegriff. Heft 1/2), die sich mit der Methodenlehre bei Juristen wie Paul Laband Max von Seydel, Albert Haenel Friedrich Carl von Savigny und Otto von Gierke auseinandersetzt. Im Zusammenhang mit dem Gelehrtenstreit zwischen Nominalisten und Realisten - im Hintergrund stand die Frage nach den erkenntnistheoretischen Bedingungen von Recht - wäre, das wird leider ausgeblendet, vor allem die parallele Entwicklung der Philosphie und Erkenntnistheorie des Neukantianismus zur selben Zeit von Interesse gewesen.

Verfassung

Eine Studie beschäftigt sich mit den amerikanischen Einflüssen auf die deutsche Verfassung (Krüger, Peter: Einflüsse der Verfassung der Vereinigten Staaten auf die deutsche Verfassungsentwicklung. Heft 3/4), eine weitere konzentriert sich auf die Weimarer Verfassung (Gusy, Christoph: Die Änderung der Weimarer Reichsverfassung. Heft 1/2). Vor allem hinter dem unspektakulären Titel der zweitgenannten Studie vebirgt sich eine spannende Beschreibung der Diskussionen und verfassungsrechtlichen Interpretationskämpfe, die dem NS-Ermächtigungsgesetz und der völligen Destruktion aller Legalitätskultur vorausgingen.

NS-Juristen, revisionistisch betrachtet

Zwei Arbeiten beleuchten die Rolle von prominenten NS-Juristen, von Karl Larenz (Kokert, Josef: Briefe, die Geschichte schreiben. Karl Larenz und die nationalsozialistische Zeit. Heft1/2) und Carl Schmitt (Lorenz, Frank Lucien - Carl Schmitt: Juristische Form kraft Repräsentation im Staats- und Strafverfahrensrecht. Heft 3/4). Leider enthalten sich diese Arbeiten nicht einer gewissen Apologetik und versuchen die betreffenden Juristen zu rehabilitieren. Dies ist mindestens so unsachlich wie jede hysterische Stigmatisierung, die letztlich Tabus und Denkverbote konstituiert. Immerhin bringen beide Aufsätze interessante Anregungen und Hinweise.

Geschichte

Drei Arbeiten befassen sich mit historischen Gegenständen. Detailliert werden die rechtlichen Rahmenbedingungen des Straßenbaus im 18. Jahrhundert (Wunder, Bernd: Der Kaiser, die Reichskreise und der Chausseebau im 18. Jahrhundert. Heft 1/2) nachgezeichnet und analysiert. Besonders interessant erscheint weiters eine Untersuchung zur Transformation der juristischen Kultur in der Sowjetischen Besatzungszone und der frühen DDR (Diestelkamp, Bernhard: Zur Rolle der Rechtswissenschaft in der Sowjetisch Besetzten Zone Deutschlands und der frühen Demokratischen Republik. Heft 1/2). Die dritte historische Studie analysiert die revolutionäre Situation von 1848 aus Sicht zeitgenössischer Juristen (Kühne, Jörg-Detlev: Die Revolution von 1848/49 als Umbruch für Recht und Juristen. Heft 3/4).

Forschungs-, Tagungs- und Literaturkritik

Einen umfassenden Bericht zum Forschungsstand der Sozialrechtsgeschichte bietet das Heft 1/2 (Scherner, Karl Otto: Sozialgeschichte der Neuzeit. Stand der Forschung und offene Fragen.). Er ist besonders für Nichtjuristen von Interesse, weil in diesem Forschungsfeld zahlreiche soziale und kulturelle Phänomene (Grundherrschaft, Nachbarschaft, Zünfte, Spitäler, Versicherungen, Fürsorge, Kinderarbeit, Wohlfahrtspflege, Bettelwesen) thematisiert und wissenschaftliche Analysen aus juristischer Sicht kritisiert werden.

Das Heft 3/4 bietet zwei Forschungsberichte: Der erste thematisiert die - mit der Säkularisierung nicht unbedingt zu verwechselnden - Säkularisationen (Jan Ziekow, Zur Geschichte der Säkularisationen zu Beginn des 19. Jahrhunderts), der zweite bietet einen bemerkens-werten internationalen Vergleich in der Justizforschung (Dölemeyer, Barabra: Justizforschung in Frankreich und Deutschland.).

Der Rezensionsteil bietet einerseits einen interessanten Überblick über rechtshistorische, aber auch politikgeschichtliche Arbeiten; auch hier ist zu bemerken, daß die Berücksichtigung der angelsächsischen, französischen, italienischen Literatur nicht zuletzt im Hinblick auf die stattfindende europäische Integration die Zeitschrift ungemein bereichern könnte.

Resumée

Die besprochenen Zeitschriften lassen sich nicht vergleichen. Erfreulich ist nicht zuletzt das Überraschungsmoment, das durch die Vielfältigkeit der Themenwahl entsteht. Kritisierbar werden sie insgesamt durch ihre nationale Beschränktheit. Wünschenswert wäre eine stärkere internationale und interdisziplinäre Ausrichtung und Verknüpfung, zumindest was die Forschungs- und Literaturberichte betrifft. Andererseits steht es natürlich jedem frei, sich auf dem Markt der ausländischen und fachfremden Journale zu bedienen. Zu bedenken ist jedoch, daß ein bloßes Nebeneinander nicht zu vergleichen ist mit einer tatsächlichen Auseinandersetzung der Disziplinen. Diese gelingt jedoch nur, wenn man das andere hereinholt ins Eigene.

Peter Melichar